Behandlung und Verneblertherapie bei COVID-19 im Krankenhaus. Interview mit dem ärztlichen Direktor Prof. Dr. Kamin des Evangelischen Krankenhauses Hamm

Derzeit bereiten sich Kliniken in ganz Deutschland auf eine stark ansteigende Anzahl an COVID-19-Erkrankten vor. Das löst gerade bei Patienten mit Atemwegsvorerkrankungen unabhängig vom Alter starke Verunsicherung aus. Mit Klinikdirektor Prof. Dr. Kamin haben wir über die aktuelle Situation gesprochen.

PARI-Blog: Wie sollten Patienten mit Atemwegsvorerkrankungen mit dem Gefährdungspotential der Infektion mit SARS-CoV-2 am besten umgehen?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Patienten sollten sich an die Vorgaben der Selbstisolation halten und das Verlassen des häuslichen Bereichs auf ein Minimum reduzieren. Sie sollten immer die gleichen Bezugspersonen haben und idealerweise auch diese Bezugspersonen für sich einkaufen gehen lassen. Wenn Patienten mit Atemwegsvorerkrankungen das Haus verlassen, sollten Sie eine Mund-Nasen-Maske tragen. Es ist kein hundertprozentiger Schutz, aber es ist doch eine Reduktion der Infektionsgefahr um mindestens 50 bis 60 Prozent. Dies gilt gerade dann, wenn beide Seiten einen solchen Schutz tragen, und das wird nun zunehmend kommen, dass auch Angestellten in den Geschäften eine Mund-Nasen-Maske tragen werden. Wenn beide Seiten eine Maske tragen, geht man mittlerweile sogar davon aus, dass dies einen 80 prozentigen Schutz bietet. Natürlich wird es niemals mit einem normalen Mund-Nasen-Maske oder auch den selbst genähten Masken zu einem hundertprozentigen Schutz kommen. Dafür bräuchte man FFP2-Masken, die aber bitte vorrangig im Krankenhaus bleiben sollten, ansonsten haben wir bald keinen adäquaten Schutz mehr für das Krankenhauspersonal.

PARI-Blog: Bei manchen Lungenpatienten herrscht Unsicherheit, ob und wie sie aktuell ihre Inhalationstherapie fortsetzen sollen – gerade in Bezug auf Cortison haltige Präparate. Was raten Sie Patienten?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Patienten mit chronischen Atemwegsvorerkrankung sollten ihre Therapie so durchführen wie bisher auch. Das gilt auch dann, wenn sie Cortison auf dem Therapieplan stehen haben. Sie sollten das Cortison-Medikament nicht absetzen. Das gilt für alle egal, ob es sich um COPD-, Asthma-, Mukoviszidose- oder PCD-Patienten handelt. Wenn der Arzt sagt, es sei ein inhalatives Cortison-Präparat notwendig, dann sollten Patienten das bitte auch benutzen. Ein Beispiel: Asthmatiker laufen Gefahr, unkontrollierte Asthmaanfälle zu entwickeln, wenn sie das Cortison absetzen. Wenn zum unkontrollierten Asthma eine COVID-19 dazu kommt, ist das viel kritischer, als Cortison weiter zu inhalieren und auf konsequenten Schutz vor Ansteckung zu achten.

PARI-Blog: Welche Erfahrungswerte gibt es in Hamm und Umgebung in Bezug auf Kinder, die wegen einer COVID-19 Infektion in eine Kinderklinik eingewiesen wurden?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Ich habe heute eine Umfrage bei den hier 30 umliegenden Kinderkliniken gemacht. Dort war die durchschnittliche Aufnahmefrequenz in den vergangenen zwei Wochen ein einziger Patient pro Klinik. Das ist sehr, sehr niedrig. Im Schnitt zeigten alle Kinder einen sehr milden Verlauf. In den meisten Fällen hatten die Eltern das Virus eingeschleppt und die Kinder angesteckt. Die Kinder waren unterschiedlich alt. Es befand sich ein Säugling darunter, aber auch ein Jugendlicher mit 17 Jahren. Unter den Kindern waren auch Zufallsbefunde, das heißt die Kinder hatten sich eigentlich wegen eines anderen Problems in der Klinik vorgestellt, und man entdeckte per Zufall die COVID-19 Infektion. Die meisten Kinder blieben zwei bis drei Tage im Krankenhaus. 80 Prozent der Kinder sind bereits zuhause und wieder komplett gesund. Unter den Kindern befand sich lediglich ein Kind mit einer Vorerkrankung. Dabei handelte es sich um eine Vorerkrankungen am Herzen. Auch dieses herzkranke Kind wies einen milden Verlauf auf und konnte bereits nach drei, vier Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Hier war man etwas vorsichtiger und wollte den Verlauf sicherheitshalber länger beobachten.

PARI-Blog: Wie stellt sich ansonsten die Lage der COVID-19-Patienten bei Ihnen in der Klinik bzw. in Hamm dar?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Hier in der Stadt Hamm haben wir so um die 270 infizierte Erwachsene. Von diesen 270 Infizierten wurden bisher 40 in Krankenhäuser eingewiesen. Das bedeutet, dass circa 15 Prozent der COVID-19 Infizierten irgendwann in das Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Von diesen 40 Patienten im Krankenhaus wiederum benötigten zwölf ein Beatmungsgerät. Das entspricht ungefähr 3 bis 4 Prozent aller Erkrankten. Leider haben wir auch schon sechs Tote in Hamm zu beklagen. Das zeigt, es ist eine Erkrankung, die deutlich aggressiver ist als die Influenza und auch deutlich überraschendere Verläufe nimmt als die Influenza. Wobei man sagen muss, dass alle sechs Toten hier in Hamm mit einem Alter zwischen 78 und 99 Jahren, alte Patienten waren, die auch alle schwerwiegende Vorerkrankungen hatten, wie COPD, Krebs oder Herzerkrankungen. Aber all diese Menschen würden sehr wahrscheinlich noch leben, hätten sie keine COVID-19 Infektion erlitten.

PARI-Blog: Wie werden COVID-19-Patienten im Krankenhaus behandelt, die nicht beatmet werden müssen?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Die Patienten inhalieren atemwegserweiternde Medikamente sowie hypertone Kochsalzlösung und erhalten, wenn es notwendig ist, Atemtherapie. Die Inhalation erfolgt dabei entweder feucht per Vernebler oder mit Dosieraerosolen und Vorschaltkammer. Damit wird versucht, vor allem die Luftnot der Patienten in den Griff zu bekommen. Mit dem Sekret verhält es sich bei COVID-19 ähnlich wie bei einer schweren Bronchitis. Teilweise wird dies im Verlauf eitrig, also gelb-grün und sollte mobilisiert werden.

PARI-Blog: Derzeit wird vielfach empfohlen, tröpfchenbildende Methoden in der Klinik restriktiv zu handhaben, um eine mögliche Virusausbreitung zu minimieren. Was genau ist darunter zu verstehen?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Hier sind Methoden wie Intubation, nicht-invasive Beatmung, Luftröhrenschnitte, Bronchoskopie oder Herzreanimationen gemeint. Bei diesen Methoden können virusbeladene Aerosoltröpfchen entstehen und eine neue Arbeit weist darauf hin, dass Corona-Viren in Aerosolen einige Stunden in der Luft und auf verschiedenen Oberflächen überleben können. Ob diese Viruslast ausreicht, um jemanden zu infizieren, ist bislang unklar. In dieser Untersuchung wurden Vernebler lediglich zur Erzeugung von virus-beladenen Aerosolen eingesetzt. Die Art der Virus-Übertragung wurde hier aber nicht untersucht. Bislang gibt es keinen belegten Zusammenhang zwischen Verneblertherapie und Virusübertragung. Das sind theoretische Vorsichtsmaßnahmen für die Situation in Krankenhäusern, um Patienten Mitarbeiter best möglich zu schützen.

PARI-Blog: Wie stehen Sie zur Verneblertherapie in der Klinik?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: In der Kinderheilkunde kann ich sagen, dass wir sehr häufig und unverändert sehr konstant die Feuchtinhalation einsetzen. Kinder mit chronisch pulmonalen Vorerkrankungen liegen bei uns immer im Einzelzimmer. Derzeit haben hier in der Klinik aber alle Patienten, egal ob Kinder oder Erwachsene, ein Einzelzimmer, außer, es wurde COVID-19 definitiv nachgewiesen. In diesem Fall sind unter Umständen zwei COVID-19-Patienten je nach Geschlecht gemeinsam in einem Zimmer untergebracht. Damit besteht keine Gefahr, dass sich Patienten in irgendeiner Weise gegenseitig mit COVID-19 anstecken. Wir halten sehr hohe hygienische Standards ein, die bereits bei Verdachtsfällen greifen. Solange ein Test läuft und das Ergebnis noch nicht vorliegt, behandeln wir den Patienten so, als handele es sich um eine COVID-19-Infektion, selbst dann, wenn es nicht nach einer COVID-19-Infektion aussieht. Zudem haben sehr viele Krankenhäuser in ganz Deutschland eigene COVID-19 Intensiv-Stationen eingerichtet, die getrennt von den normalen Intensivstationen sind. In gleicher Weise haben wir das hier in Hamm umgesetzt.

PARI-Blog: Was halten Sie vom Einsatz eines Ausatmungsfilters bei der Verneblertherapie?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Bei dem Setting an Vorsichtsmaßnahmen, was wir jetzt gerade in den Krankenhäusern haben, die ich kenne, brauchen wir ein Filter-Ventil-System bei der Inhalation gar nicht einsetzen. Durch die Isolation der Patienten ist die Verneblertherapie sicher. Natürlich ist jeder Ansatz, Kontaminationen wie die Abgabe nicht nur eines Virus, sondern auch eines Medikaments in die Umluft und in den Raum hinein zu verhindern, grundsätzlich sinnvoll.. Das gilt vor allem in diesen Zeiten. Ich würde jetzt erstmal per se nicht sagen, dass man ein Klinikum, das einen Exspirations-Filter für die Verneblung  nicht hat, dazu anhalten sollte, sich eines anzuschaffen. Aber wenn ein Klinikum entsprechend ausgestattet ist  und die Atem-Therapeuten darin eingewiesen und geschult sind, würde ich natürlich immer so ein Filter-Ventil-System auch einsetzen, gerade in der heutigen Zeit.

PARI-Blog: Welche Empfehlungen geben Sie jungen Patienten und deren Eltern bei der Entlassung für zuhause?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Die Empfehlung ist, dass sie so weiter inhalieren sollen, wie bisher auch, wenn eine Inhalation im Therapieplan steht. Wenn die Kinder an COVID-19 erkrankt waren, dann sollten diese natürlich auch zu Hause soweit wie möglich alleine, also getrennt von anderen in Quarantäne sein, um nicht weitere Familienmitglieder anzustecken. Das große Problem bei diesem Virus ist, dass er zwar für Ältere und Patienten mit Vorerkrankungen am gefährlichsten ist - im Übrigen ist es immer so, dass zuerst die Alten und Schwachen sterben – aber der Erreger dieses Beuteschema eben auch durchbricht. Es gibt mittlerweile Berichte von zwei, drei Säuglingen, die an COVID-19 gestorben sind. Man weiß, dass auch Jugendliche und einige Patienten um die 30 Jahre ohne Vorerkrankungen schwere Verläufe hatten oder an dem Virus verstorben sind. Jüngere, gesunde Erwachsene sind also durchaus mit einem Prozentsatz von 10 Prozent bei den Toten mit dabei. Der Erreger ist damit unkalkulierbar und das macht ihn so gefährlich und bedrohlich.

PARI-Blog: Wie gut sind die Kliniken in Deutschland Ihrer Meinung vorbereitet?

Prof. Dr. Wolfgang Kamin: Die Deutschen haben sich sehr früh und sehr gut vorbereitet.  Das hat aber auch damit zu tun, dass wir bereits von anderen Ländern lernen konnten. Wir hoffen, mit dieser Vorbereitung ein bisschen besser aus der Krise herauszukommen als manch anderes Land. Aber das wissen wir noch nicht. Wir hoffen,  gut gerüstet zu sein, weil wir die Krankenhäuser leergeräumt und zusätzlich ein gutes Verlege-System mittels Hubschrauber oder RTW haben. Zum jetzigen Zeitpunkt, zumindest in Norddeutschland, wozu wir uns hier in Hamm auch zählen, würde ich sagen, haben wir 80 Prozent freie Betten. Das gilt aber nicht für überall. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es vielleicht noch 20, 30 Prozent freie Betten, da dort das Virus gerade sehr aktiv ist. Aber ich kenne keine Klinik in Deutschland, die momentan so agieren muss wie die Kollegen in Madrid, Straßburg oder Bergamo.. Wir sind in der glücklichen Lage in Deutschland in einem wohlhabenden Land zu sein, in dem das Gesundheitssystem nicht ganz so grob malträtiert wurde , auch wenn Sparmaßnahmen stark im Fokus standen und stehen. Nun zeigt sich, dass das Wichtigste ist, stille Reserven nutzen zu können, wenn es zu einem Katastrophenszenario kommt. Unser Ziel muss sein, das Virus so in Schach zu halten, dass es zu keiner Überlastung der Kliniken kommt. Denn sonst müssten wir entscheiden, welcher Patient sterben muss und welcher leben darf. In diese Situation möchten wir nicht kommen. Unser Ziel ist es, alle adäquat versorgen zu können. Wenn wir das schaffen, dann sind wir spitze.

PARI-Blog: Prof. Dr. Kamin, vielen Dank für das Gespräch.


Über Prof. Dr. Wolfgang Kamin

Prof. Dr. med. Wolfgang Kamin ist ärztlicher Direktor des Evangelisches Krankenhauses Hamm gGmbH und Klinikdirektor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Kinderpneumologie, Mukoviszidose, Allergologie und Umweltmedizin, pädiatrische Intensivmedizin und Neonatologie.


Weiterführende Links


Hinweise: Bei den im Interview getroffenen Aussagen handelt es sich um die individuelle Sichtweise des Interviewten. Diese spiegeln nicht zwangsläufig die PARI Sichtweise oder den allgemeinen Stand der Wissenschaft wider.

Das Gespräch mit Prof. Dr. Kamin wurde Anfang April 2020 geführt. Die Aussagen wurden auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen getroffen.


Ein Beitrag der PARI-BLOG Redaktion.


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