Dienstag, 21. April 2020
Carina von Stackelberg ist 27 Jahre alt und arbeitet neben dem Psychologiestudium an der Universität Hamburg als Mental-Trainerin und Motivationscoach. In ihrem Alltag, bei der Arbeit und im Studium, spielt dabei vor allem ihre chronische Atemwegserkrankung Mukoviszidose immer wieder die zentrale Rolle. Über ihre Erlebnisse und Tipps bloggt und postet sie unter dem Namen @damnbrave auf Instagram. In ihrem Gastbeitrag für den PARI Blog möchte sie mit ihren Erfahrungen anderen chronisch Kranken helfen und ihnen Tipps an die Hand geben, wie sie vielleicht einfacher durch die Zeit der Isolation während der Corona-Krise kommen können. Denn sie sagt: „Besonders schwer wird’s nämlich, wenn man sich in dieser Situation alleine fühlt. Aber, das sind wir nicht!“.
Carina von Stackelberg: Nicht nur gesundheitlich, sondern auch mental, stellt mich die aktuelle Situation vor eine große Herausforderung. Als CF-Betroffene (Cystic Fibrosis, Mukoviszidose) hat sich mein Alltag, seitdem das Corona-Virus auch bei uns in Deutschland im Umlauf ist, sehr verändert. Wie viele andere chronisch Kranke verbringe auch ich die Zeit momentan viel alleine und nahezu in vollkommener Isolation. Dabei kreisen mir viele schwere Gedanken immer wieder durch den Kopf: Wie geht das alles weiter - wann ist diese Krise überstanden – was passiert, wenn ich selbst oder Familienmitglieder krank werden – um nur ein paar zu nennen. Nicht nur mich hat die plötzliche Entwicklung rund um das Corona-Virus vollkommen überrollt. Als Teil der Risikogruppe, weiß ich, dass solche plötzlichen Entwicklungen Vieles ins Wanken bringen und Beunruhigung auslösen kann. Auch mir macht das näher kommende Virus Sorgen, ja, manchmal sogar Angst.
Doch wie können wir also in Zeiten von Corona mental stark bleiben und vielleicht sogar die eigenen Ressourcen so nutzen, dass wir gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen?
Als Mental- und Motivationstrainerin helfe ich in meinem Alltag anderen chronisch Kranken dabei, mit schwierigen und herausfordernden Situationen besser umzugehen. Gerade in der jetzigen Situation ist es wichtig, mental stark zu bleiben und mit viel Widerstandskraft durch diese Zeit zu gehen.
Bei der Übung, die sich Visualisierung nennt, gehen die Gedanken auf Wanderschaft an einen ruhigen Ort. Auch der Verstand und der Körper werden dadurch beruhigt. Am besten lässt sich die Visualisierung in einer stillen und ungestörten Umgebung durchführen. Gemütlich sitzend oder liegend, mit geschlossenen Augen, kommt es nun darauf an, in Gedanken einen Ort aufzusuchen, der für Sie eine möglichst große Ruhe ausstrahlt. Dabei ist es irrelevant, ob sich die Gedanken an einem realen Ort aufhalten oder an einem Flecken Erde, der nur in Ihrer Fantasie existiert:
Ein Strand oder eine schöne Waldlichtung sind klassische und beliebte Beispiele. Angekommen an diesem Ort in den eigenen Gedanken geht es nun um die Wahrnehmung: Wie gut fühlt es sich an, an diesen ruhigen und schönen Ort zu kommen?
Wenn ich diese Übung durchführe, lande ich in meinen Gedanken meist am Strand der Nordseeinsel Amrum. Dort war ich schon häufig zur Reha. Die Weite des Strandes ist dort für mich ein echtes Paradies, obendrein ist die salzige Luft dort so wohltuend und lässt mich tief durchatmen. Positive Emotionen kommen auf, wenn die Wahrnehmung ins Detail geht: das Meeresrauschen, die leichte Windbrise auf der Haut, der salzige Geruch des Wassers oder der warme Sand unter den Füßen, wie in meinem Beispiel. Es geht darum, möglichst viele Sinne in die Gedanken mit einzubeziehen: das Schmecken, das Hören, das Riechen, das Fühlen. Circa fünf Minuten Ruhe an diesem Ort in Gedanken sind für den Anfang empfehlenswert – je nach Lust und Laune, darf der kurzweilige Gedankenspaziergang aber auch zur langen Wanderung werden.
Wichtig ist, dass auch die Rückkehr von diesem Ruheort Zeit in Anspruch nimmt. Mit etwas Geduld wird die Rückkehr ins Hier und Jetzt zu einem besonderen Erlebnis: Wer dabei genau wahrnimmt und in sich hineinhört, wird feststellen, wie viel ruhiger der eigene Körper und Geist geworden sind.
Nachdem ich eine solche Visualisierung, einen solchen Gedankenspaziergang am Strand von Amrum, hinter mir habe, fühle ich mich manchmal beinahe wie vom Westwind durchgepustet – aber vor allen Dingen glücklich und entspannt.
Eine andere Technik ist das sogenannte Dankbarkeitstagebuch. Dabei geht es darum, den eigenen Blick auf das zu richten, was momentan Gutes da ist und weg von dem Negativen und dem, was fehlt. Hier konnte die Wissenschaft² zeigen, dass die tägliche Routine drei Dinge aufzuschreiben für die man dankbar ist, glücklicher macht und einen positiven Blick auf das eigene Leben schult. Auch diese Übung ist gut und einfach in den Alltag einzubinden und braucht außer einem kleinen Notizbuch oder etwas Anderem zum Schreiben keinerlei Hilfsmittel.
Wichtig ist, dass diese Technik zur Routine wird und sie täglich ausgeführt wird. Denn vor allem durch die tägliche Wiederholung kann sich die Wahrnehmung auf das Positive auch in schweren Zeiten verbessern. Das Notieren von nur drei kleinen Erfolgen kann dabei helfen. Das kann ein schönes Telefonat, ein leckeres Essen, oder ein entspannter Spaziergang sein. Mein Dankbarkeitstagebuch liegt auf meinem Nachttisch neben dem Bett und ist in meinem Rucksack, wenn ich verreise, oder wenn ich ins Krankenhaus muss. Am effizientesten wird diese Übung, wenn der Eintrag ins Dankbarkeitstagebuch immer etwa zur gleichen Tageszeit geschrieben wird. Dann stellt sich auch die Routine schneller ein. Besonders geeignet ist die Zeit kurz vor dem Schlafengehen. Es geht nicht darum, Dinge zu suchen, die große Erfolge oder Taten sind. Es geht nicht darum, sich mit dem muskelbepackten Porschefahrer oder der gleichaltrigen Sportskanone zu vergleichen. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die helfen, den Blick auf das zu richten, was wir sonst in unserem Leben vielleicht gar nicht wahrgenommen hätten. So fällt es zwar auch mir nicht immer leicht, solche drei erfolgsgeladenen Kleinigkeiten zu finden – besonders, wenn ich einsam bin oder den ganzen Tag die Decke im Krankenhaus angestarrt habe. Doch selbst dann lassen sich Dinge finden, für die ich dankbar bin: die Sonne, die in mein Zimmer scheint oder die Nachricht, die mir eine Freundin schreibt.
Wie so häufig im Leben ist auch bei diesen Techniken ein bisschen Übung gefragt, bevor das gewünschte Ergebnis eintritt. Aber sowohl bei der Visualisierung als auch beim Dankbarkeitstagebuch bringt Übung zwangsläufig auch größere Erfolge. Regelmäßig nutze ich selbst diese Techniken und bringe sie gerne anderen bei: von Mal zu Mal treten mehr Details bei den Gedankenspaziergängen in der Umgebung des Sehnsuchtsorts hervor. Beim Dankbarkeitstagebuch werden von Tag zu Tag mehr Errungenschaften sichtbar. Und das Blättern durch all die Seiten voller klitzekleiner Erfolge ist eines meiner Lieblingsgefühle und bietet mir mentale Zuflucht, besonders jetzt, in dieser Zeit voller neuer unbekannter Herausforderungen.
Bei Spitzensportlern und stark gestressten Personen konnte gezeigt werden, dass diese Techniken – die Visualisierungsübung und das Dankbarkeitstagebuch – helfen können, den Körper zu entspannen. Sie können sogar eine erhöhte Herzfrequenz beruhigen¹. Aber nicht nur Spitzensportlern helfen diese Techniken und Übungen: Sie sind leicht auf andere Personen übertragbar, die sich in einer mental beanspruchenden Zeit befinden. Für alle Personen mit einer chronischen Atemwegserkrankung sind diese Techniken einfach anzuwenden und hilfreich! Das weiß ich aus eigener Erfahrung, aber auch aus Rückmeldungen von anderen Mukoviszidose-Patienten. Die Übungen können mit wenig Zeitaufwand zuhause umgesetzt werden und benötigen keinerlei Hilfe von Außen.
Probieren Sie es einfach mal aus! Bleiben Sie gesund, Ihre Carina von Stackelberg.
Quellen
Weiterführende Literatur
Hinweis: Bei den im Erfahrungsbericht getroffenen Aussagen handelt es sich um die individuelle Sichtweise der berichtenden Person. Diese spiegeln nicht zwangsläufig die PARI Sichtweise oder den allgemeinen Stand der Wissenschaft wider.
Ein Beitrag der PARI-BLOG Redaktion.
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