Dienstag, 14. Juli 2020
Muss ein Kind täglich inhalieren, entstehen oft Konflikte in der Familie. Das weiß Atemtherapeutin Rita Kieselmann aus Erfahrung. Eigentlich kommen Eltern mit ihren Kindern in die Praxis, um inhalieren zu erlernen. Dabei berichten sie häufig über familiäre Probleme, die sich durch die Pflicht zur täglichen Inhalation ergeben. Die langjährig erfahrene Physio- und Atemtherapeutin steht Eltern bei der Lösung dieser Konflikte zur Seite.
Rita Kieselmann: In meiner Praxis betreue ich Kinder vom Säuglings- bis ins Jungendalter, die an schwerwiegenden, chronischen Atemwegserkrankungen leiden, wie Mukoviszidose, Primäre Ciliäre Dyskinesi (PCD) oder an Asthma ähnlichen Erkrankungen. Bei diesen Patienten gehört inhalieren zum täglichen Therapieplan. Es kommen aber auch Kinder zu mir, die akut an der Lunge erkrankt sind und deswegen für einige Wochen inhalieren müssen. In der Regel begleitet ein Elternteil, meist die Mutter, das Kind zu mir in die Praxis und bleibt während der Behandlung dabei. Ältere, bereits schon geschulte Kinder, nehmen die Behandlung alleine wahr.
Rita Kieselmann: Nicht nur die Kinder müssen die Inhalationstechnik erlernen. Es gilt vor allem, auch die Eltern einzuweisen. Sie müssen schließlich mit dem Kind gemeinsam die Inhalation durchführen, da die Kinder das anfangs noch nicht alleine können. Daher muss ich als Erstes bei den Eltern Überzeugungsarbeit leisten. Sie müssen verstehen, was in der Lunge ihres Kindes vorgeht und inwiefern hier die Inhalation wirkt. Deswegen müssen sich die Eltern mit der Anatomie, Physiologie und der Pathophysiologie der Lunge auseinandersetzen und ich erläutere ihnen die Vorgänge. Abhängig vom Alter erkläre ich auch den Kindern anhand von Abbildungen den Aufbau und die Funktionsweise der Lunge. Es ist wichtig, Eltern und Kind diese Informationen zu vermitteln, damit die Inhalation als Therapiemaßnahme akzeptiert und korrekt durchgeführt wird.
Rita Kieselmann: Ja, richtig. Von diesem Problem berichten fast alle Eltern irgendwann einmal. Der Grund dafür ist in den meisten Fällen, dass die Kinder die Inhalationstherapie als langweilig empfinden. Es ist schwierig, den Kindern zu vermitteln, was Ein- und Ausatmung ist. Zudem fällt es Kindern noch schwerer als Erwachsenen, bewusst zu atmen und sich ausschließlich auf die Atmung zu konzentrieren. Atmung ist uns einfach gegeben und wird uns erst dann bewusst, wenn sie anstrengend wird. In der Praxis versuchen wir gemeinsam Lösungen zu finden. Den Eltern gebe ich Tipps, wie sie das Kind motivieren können, wenn es nicht inhalieren will. Mit den Kindern hingegen probiere ich während der Behandlung die eine oder andere Idee direkt aus. Gefällt den Kindern ein bestimmtes Spiel oder eine bestimmte Motivationshilfe besonders gut, nehmen die Eltern diesen Ansatz mit nach Hause.
Rita Kieselmann: Meistens kommt es in einem Alter von vier bis zehn Jahren zu Demotivation und damit zu Problemen. Die Kinder streiken und widersetzen sich der Inhalation. Sie empfinden die Inhalation als langweilig, nervig und lästig. Stärke und Ausprägung der Konflikte sind dabei unterschiedlich. Es reicht von kleinen Auseinandersetzungen bis hin zu starken Streitereien zwischen Eltern und Kind. Eltern sollten nicht versuchen, diese Auseinandersetzung zu umgehen, indem sie nachgeben und die Inhalation ausfallen lassen. Die Partikel und Medikamente, die durch die Inhalation eingeatmet werden, sollen schließlich eine bestimmte Wirkung in den Bronchien entfalten. Daher ist die Inhalation für Kinder mit schweren Atemwegserkrankungen viel zu wichtig. Eltern sollten geduldig das Gespräch mit ihren Kindern suchen. Sie müssen ihnen erklären, warum die Inhalation notwendig ist. Tricks anzuwenden ist selbstverständlich auch legitim, um die Kinder zur Inhalation zu motivieren. Zeigen die Kinder trotz aller Bemühungen keine Einsicht, sollten die behandelnden Physiotherapeuten und auch die behandelnden Ärzte den Kindern nochmals die Wichtigkeit der Inhalation erklären. Den Ernst der Lage dürfen sie dabei durchaus ansprechen. Ich selbst zeige meinen kleinen Patienten auch deutlich auf, was passieren kann, wenn sie mit der Inhalation schlampig sind. Es ist wichtig, die Kinder immer wieder zu informieren und darüber aufzuklären, dass sie durch die inhalierten Medikamente gesund bleiben oder werden. Angst machen ist dabei allerdings fehl am Platz.
Rita Kieselmann: Die Pflicht zur Inhalation kann Konflikte und Belastung für die ganze Familie hervorrufen. Schließlich müssen die meisten Kinder mit schweren, chronischen Lungenerkrankungen oft zwei bis dreimal täglich inhalieren. Viele der Kinder müssen dabei sogar mehrere Medikamente inhalieren, was durchaus viel Zeit in Anspruch nimmt. Wenn sie sich mehrmals am Tag immer wegen des gleichen Themas streiten, ist das natürlich eine Belastung. Bei den Eltern schwingt dabei im Hintergrund meist der Gedanke mit, dass sie sich eigentlich ein gesundes Kind gewünscht hatten. Nun haben sie aber ein lebenslang, chronisch krankes Kind. Sie sind für die Erhaltung des Lebens ihres Kindes in einem deutlich größeren Ausmaß verantwortlich als Eltern gesunder Kinder. Diese große Verantwortung lastet oft schwer auf den Schultern der Eltern. Zudem machen sie sich Sorgen um die Gesundheit und die Lebenserwartung ihres Kindes. Diese sorgenvollen Gedanken, die zeitaufwändige Inhalation und andere Verpflichtungen, welche die Krankheit mit sich bringt, führen in Kombination mit Beruf, Haushalt etc. zum Gefühl der Überforderung. Hinzu kann es zu Partnerkonflikten kommen. Wer übernimmt die Hauptverantwortung für die Therapie des Kindes? Nicht immer haben Mutter und Vater die gleichen Vorstellungen davon, wie die Inhalation durchzuführen ist. Das alles birgt Sprengkraft in sich. Durch die Inhalationstherapie kann es also nicht nur zwischen Kind und Eltern, sondern auch zwischen den Ehepartnern knirschen.
Rita Kieselmann: Das ist sehr unterschiedlich. Manche Kinder verstehen es schon in einem Alter von sechs oder sieben Jahren und inhalieren ohne Murren, andere verweigern sich bis in die Pubertät hinein. Dass Eltern ihre Kinder überhaupt nicht mehr an die Inhalation erinnern müssen und Kinder die Verantwortung für ihre Therapie komplett allein übernehmen, dauert meist bis ins jugendliche Alter hinein. Irgendwann versteht es aber jedes Kind. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Einsicht nicht erst dann kommt, wenn die Lunge bereits zu stark betroffen ist.
Rita Kieselmann: Mit viel Zuneigung, Verständnis und Geduld. Zu viel Strenge der Eltern und Perfektionismus sind nicht hilfreich. Manchen Eltern fragen mich, ob die Kinder während der Inhalation Fernsehschauen dürfen, damit sie die gesamte Inhalationszeit über bei der Stange bleiben. Das geht nur, wenn die Kinder bereits erlernt haben, richtig zu inhalieren und dies auch beherrschen. Außerdem sollten sich die Eltern im gleichen Raum aufhalten und ein Auge auf das Kind haben.
Rita Kieselmann arbeitet seit über 45 Jahren als Physio- und Atemtherapeutin. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit chronischen Atemwegserkrankungen. Rita Kieselmann ist Gründerin des Arbeitskreises Physiotherapie im Mukoviszidose e. V.. Zudem entwickelte sie Selbsthilfetechniken zum Sekret-Transport, wie zum Beispiel die modifizierte Autogenen Drainage und vieles mehr.
Hinweis: Bei den im Interview getroffenen Aussagen handelt es sich um die individuelle Sichtweise der Interviewten. Diese spiegeln nicht zwangsläufig die PARI Sichtweise oder den allgemeinen Stand der Wissenschaft wider.
Ein Beitrag der PARI-BLOG Redaktion.
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